Dialog mit der Polizei

Das Verhältnis zwischen LSBTIQ+ -Szenen und Strafverfolgungsbehörden in Deutschland ist nach wie vor nicht einfach. Es mangelt nach wie vor an gegenseitigem Vertrauen. Die Ursachen für diese Schwierigkeiten liegen sowohl in der Verfolgungsgeschichte von homosexuellen Männern (durch den mittlerweile gestrichenen Strafparagraph 175), der Ausgrenzungs- und Diskriminierungsgeschichte von LSBTIQ+ insgesamt sowie an anhaltenden Vorurteilen, Diskriminierungen und Übergriffen gegen LSBTIQ+ in Berlin, Deutschland, Europa, weltweit.

Die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen durch das Vorenthalten gleicher Rechte gegenüber LSBTIQ+ werden von einem Großteil der LSBTIQ+ noch immer real in ihrem Alltag erfahren. Insbesondere das fehlende Engagement staatlicher Behörden und ihrer Vertreter*innen befördert in Teilen der LSBTIQ+ -Szenen Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat und seiner Institutionen, der es ihrer Meinung nach unterlässt, Menschen in unserer Gesellschaft vor dem Gesetzt gleich zu stellen und in ihrer Menschenwürde zu schützen. Zudem beeinflusst in einer zunehmend von Globalisierung und Migration geprägten Gesellschaft die anhaltende, auch staatliche Ächtung und Kriminalisierung von LSBTIQ+ in großen Teilen der Welt, die Situation in Deutschland.
Vor diesem Hintergrund hat sich in Berlin seit 1990 ein intensiver Dialog zwischen MANEO und Strafverfolgungsbehörden etabliert, der bestehende Probleme thematisiert, gegenseitige Vorbehalte abbaut und das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und in die demokratische Grundordnung insgesamt stärken will.

Voraussetzungen für einen Dialog

Voraussetzung für einen Dialog ist einerseits, dass Polizei und Justiz sich mit ihrer eigenen
gesellschaftspolitischen Rolle und Bedeutung als Strafverfolgungsbehörden sowohl historisch als auch aktuell, in Bezug zu ihrem Auftrag und Umsetzung, nach Innen und nach Außen und in der Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinandersetzen. Dieser Diskurs muss wahrnehmbar und transparent sein. Er muss laufend in die Gesellschaft, insbesondere auch gezielt in die LSBTIQ+ -Szenen hinein kommuniziert werden. Dazu gehört selbstverständlich, sich mit der Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte von LSBTIQ+ eben auch in den eigenen Reihen zu befassen. An der Ernsthaftigkeit dieser Befassung machen sich Glaubwürdigkeit fest.
Auf der anderen Seite organisieren sich LSBTIQ+ -Gruppen, -Projekte und -Organisationen (NGOs) in ihrem Bemühen um Anerkennung und Gleichberechtigung, um gesellschaftliche Aufklärung und Emanzipation. In der Geschichte waren es Selbsthilfegruppen, Vereine und Interessensvertretungen, die sich selbst finanzieren mussten. Erst in der jüngeren Geschichte erhalten Vereine und Organisation nicht mehr über Hintertüren staatliche Förderungen, sondern gezielt für LSBTIQ+ -emanzipatorische Arbeit. Dies geschieht in Deutschland aber nach wie vor regional mit sehr großen Unterschieden. Entsprechend langsam und unterschiedlich können sich vereinzelt LSBTIQ+ -Anti-Gewalt-Projekte (AGPs) entwickeln, mit kontinuierlicher staatlicher Förderung auch professionalisieren, eine Voraussetzung für die Aufnahme und Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Dialogs mit Strafverfolgungsbehörden. Sie sind dann auch in der Lage, Expert*innen- und Fachwissen zu vorurteilsmotivierter LSBTIQ+ -feindlicher Gewalt, dem Rechtsstaat und Strafverfolgungsbehörden zu generieren und sich mit den vielfältigen Bedarfen und Bedürfnissen sowie Strömungen innerhalb der LSBTIQ+ -Szenen, auseinanderzusetzen –
auch mit ablehnenden Haltungen gegenüber Strafverfolgungsbehörden.

Stabile Bezugspunkte und Ansprechpersonen

Der politische Wille, das Verhältnis zwischen LSBTIQ+ -Szenen und Strafverfolgungsbehörden durch Gespräche und Austausch zu verbessern, war in Berlin 1988 – also noch vor dem Fall der Mauer – vom damaligen rot-grünen West-Berliner Senat gesetzt und von der anschließenden CDU geführten Berliner Landesregierung fortgesetzt worden. Ab 1990 wurde für die Projektarbeit bei MANBEO ein Soziologe eingestellt, anfangs mit einer halben Stelle, ab 1992 mit einer Vollzeitstelle. Um Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, war 1990 ein erfahrener Kriminalbeamter als Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Polizei Berlin kommissarisch im Nebenamt eingesetzt worden, ab 1992 hauptamtlich.

Sowohl innerhalb der Polizei und Justiz als auch innerhalb der LSBTIQ+ -Szenen waren die Vorbehalte und Vorurteile groß. Verantwortlich dafür waren vorhandene undemokratische, gesellschaftliche Verhältnisse, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ausgegrenzten und diskriminierten, die männliche Homosexualität unter Strafte gestellt und strafrechtlich verfolgt hat. Erst in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wuchs das Unrechtsbewusstsein (Abschaffung des Strafparagraphen 175, Entschuldigung des Deutschen Bundestages gegenüber den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus, Entschädigungsleistungen für Betroffene des Strafparagraphen 175) und öffnete die Türen für mehr rechtliche Gleichstellung von LSBTIQ+ und damit auch für vertrauensbildende Maßnahmen. Das wirkte sich langfristig positiv aus, weil auch die Bereitschaft zur Anzeige wuchs und das Dunkelfeld mehr erhellt werden konnte.
Erforderlich war die Begleitung eines kontinuierlichen Dialoges und Vertrauensbioldungsprozesses zwischen LSBTIQ+ -Anti-Gewalt-Projekten und Strafverfolgungsbehördern auf der Basis von kontinuierlichen Ansprechpersonen. Um das zu gewährleisten sind weitere finanzielle Mittel erforderlich, sowohl für mehr qualifiziertes Personal als auch für die Weitergabe von Fachwissen an nachfolgendes Personal, u.a. auch für Schulungen.


Konstruktion eines Dialoges

Mit dem vertrauensbildenden Dialog zwischen LSBTIQ+ -Szenen und den Strafverfolgungsbehörden geht ein kritischer Dialog einher, d.h. die Bereitschaft, Kritik zu äußern, sich mit Kritik auseinander zu setzen und nach Lösungen zu suchen. Er steht für die Bereitschaft, sich für Gespräche und für Entwicklungsprozesse Zeit zu nehmen. Dialog bedeutet Transparenz, sich zu informieren und sich Zeit zu nehmen, Zusammenhänge zu erörtern und zu verstehen. Transparenz bedeutet außerdem, dass über erfasste Gewaltstraftaten anhand von anonymisierten Eckinformationen und unter Einhaltung der Datenschutz-Richtlinien gesprochen werden kann. Darüber soll die Ahndung vorurteilsmotivierter Gewaltstraftaten optimiert, das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Institutionen verbessert, gewaltpräventive Maßnahmen sowie Aufklärung und Emanzipationsarbeit gefördert gestärkt werden.
Die bisherigen Entwicklungen unseres Dialoges zeigen, wie wichtig der kontinuierliche Austausch und das Gespräch sind, vor allem eben auch der regelmäßige Austausch zwischen Strafverfolgungsbehörden und Anti-Gewalt-Projekt (AGP) sind. In den letzten drei Jahrzehnten haben wir bereits die fünfte Generation an LSBTIQ+ -Ansprechpersonen bei der Polizei, andererseits auch das Glück, einen für diese Arbeit verantwortlichen hauptamtlichen seit 1990 beschäftigen zu können. Leider ist es MANEO erst seit 2017 mit zusätzlich bereitgestellten finanzieller Mittel möglich, diese Arbeit auf weitere Schultern zu verteilen.

Um den Prozess der Vertrauensentwicklung fortzusetzten, muss neben dem erfolgten Ausbau der LSBTIQ+ -Vollzeitansprechpersonen bei den Strafverfolgungsbehörden auch die Arbeit von MANEO als AGP kontinuierlich verstärkt werden.


MANEO und seine Dialogpartner, d.h. LSBTIQ+ -Ansprechpersonen bei der Polizei Berlin, beim Staatsschutz, bei der Bundespolizei Direktion Berlin und bei der Staatsanwaltschaft Berlin, werden als „erfolgreiches Modell“ bundesweit mit Anfragen überhäuft – auch von Betroffenen, die sich mit der Bitte um Rat und Informationen an die Einrichtungen wenden.
Es muss Aufgabe der Länder sein, vergleichbare Dialogformate auf Landesebene einzurichten und zu unterstützen. Deshalb muss es Aufgabe des Bundesinnenministeriums sein, entsprechende koordinierende Aufgaben zu übernehmen.